Eine bekannte Intendantin eines Wiener Off-Theaters pflegte einmal zu sagen, dass Wien immer schon eine Stadt war, in der die Kreativität aus sämtlichen Mauerritzen dringt. Wien und Kellertheater, das hat tatsächlich Tradition. Seit 2014 verfügt auch der Verein russisches Theater 8+ über theatertaugliche Räumlichkeiten im Souterrain eines Hauses. Das Besondere: Hier in der Probebühne in der Erdbergstraße, die auch als Aufführungsort für Premieren dient, werden beinahe ausschließlich Stücke der klassischen russischen Kultur zum Besten gegeben. „Das russische Publikum hat eine große Sehnsucht nach klassischem Theater“, weiß die Initiatorin und Leiterin des Vereins, der mittlerweile über 50 Mitglieder zählt, Olga Borissov.
Die gebürtige Russin, die ihre Kindheit in der Ukraine verbrachte und seit 25 Jahren in Wien lebt, hat vor sechs Jahren den Sprung ins kalte Wasser gewagt und verfügt mittlerweile über ein enthusiastisches Team. In die Räumlichkeiten in der Erdbergstraße finden sowohl russischsprachige Menschen, die auch in Wien nicht den Zugang zur russischen Kultur verlieren möchten (manch ein Besucher hat erst in Wien den einen oder anderen Bühnenklassiker gesehen), aber auch gebürtige Österreicher ihren Weg. „Wir können mit unseren Aufführungen zum Beispiel Leuten helfen, die russisch lernen. Für den Fall, dass sie nicht alles verstehen, gibt es bei ausgewählten Stücken Übertitel“, betont Borissov.
Vom hilflosen Scharik zum durchtriebenen Scharikov
Für die neueste Produktion hat sich die gelernte Russischlehrerin etwas Besonderes ausgedacht. Dem Konzept von 8+ entsprechend handelt es sich erneut um einen Klassiker der russischen Literatur, allerdings um eine Romanadaption, dargeboten als Bewegungstheater. Für eine Stunde entführt die über zehnköpfige Schauspielgruppe – viele davon stehen im Rahmen der Produktion das erste Mal vor Publikum auf der Bühne – die anwesenden Besucherinnen und Besucher ohne Worte auf der kleinen Bühne in die phantastische Welt Michail Bulgakows „Hundeherz“.
Bulgakows 1925 entstandene Novelle rund um den räudigen Straßenköter Scharik, der von dem Arzt und genialem Chirurgen Filip Filipovic Preobrazhenski in einen Menschen verwandelt wird, konnte in der ehemaligen Sowjetunion erst 1987 zum ersten Mal offiziell erscheinen. Wer das Buch kennt, muss nicht lange überlegen warum. Als neuer Mensch erweist sich der nunmehr als Poligrag Poligrafovitsch Scharikov in Erscheinung tretende Homunkulus wenig dankbar und entwickelt sich immer mehr zum saufenden, frauenverachtenden Zeitgenossen, der bald schon als manipulierbarer, konformtreuer Spitzel für die kommunistische Partei operiert.
Doch auch wer mit der Handlung des vor allem durch seinen satirischen Ton (streckenweise fungiert Scharik bzw. Poligrag Poligrafovitsch Scharikov im Roman selbst als Erzähler) unterhaltsamen Werkes nicht vertraut ist, wird keine Probleme haben zu folgen. Die Geschichte wird liebevoll auf der Bühne zum Leben erweckt und hat mit der Auswahl klassischer, das Stück begleitender Musik sowie einer Hand voll Tanzeinlagen ein bisschen etwas von einem russischen Märchen. Ein liebevolles Bühnenbild und engagierte Schauspielerinnen und Schauspieler sorgen trotz beschränkter Mittel (das Fehlen einer professionellen Lichtanlage, kein halloptimierter Ton, wenig Platz usw.) für einen Abend mit Flair und zeigen, dass Professionalität keineswegs große Theaterräume braucht. Wem der Kellerbühnen-Zuschauerraum trotz allem zu beengt ist, der hat die Möglichkeit dem Ateliertheater einen Besuch abzustatten, wo Olga Borissov und ihr Team alternierend gastieren und bis in die letzte Theater-Ritze Kreativität versprühen.
Hundeherz
Nonverbales Bewegungstheater
Noch am 24. November (Erbergstraße 63, 1030 Wien)
Und am 30. November (Atelier Theater: Burggasse 71, 1070 Wien)
Kartenvorbestellung unter: +43 699 11 73 74 12 oder [email protected]
Verein russisches Theater
Theaterstudio 8+
http://www.russian-theater.com/?lang=de
Facebook: www.facebook.com/rusteatr8plus
© Fotos: Alex Zakharov
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